Grabräuber im Alten Ägypten

Ein Skandalprozeß am Ende der Ramessidenzeit

Das Umfeld
Das Dorf der Grabbauer
Die Bedeutung des Grabes
Habgier
Die Anzeige
Der Krieg der Bürgermeister
Das Grab der Isis
Die Totenstadt von Theben-West


Das Umfeld

Ende des 12. Jahrhunderts vor Chr., als Pharao Ramses IX. das Land Ägypten regierte, war die Blütezeit des pharaonischen Großreiches bereits vorbei. Die Könige der XX. Dynastie, von denen die meisten den Namen Ramses trugen, herrschten über ein Land, das in wirtschaftliche Not geraten und von inneren und äußeren Feinden bedroht war. Teuerungswellen überschwappten das Land, die auf Tauschhandel beruhende ägyptische Wirtschaft geriet immer wieder ins Stocken. Die Versorgungslage war schwierig. Die Bevölkerung fürchtete sich vor versprengten ausländischen Truppen, Banden von entlassenen Soldaten, räuberischen Beduinen und anderen entwurzelten Gestalten, die das Land durchstreiften. Davon betroffen war auch die frühere Hauptstadt Theben in Oberägypten, deren Name allein schon von der Größe früherer Zeiten kündete. Pharaonen mit Namen Thutmosis, Hatschepsut und Amenophis hatten von hier aus das yptische Großreich des sogenannten "Neuen Reichs" begründet.


"Richtiger ist Theben als jede Stadt. Das Wasser und das Land waren im Anbeginn in ihm und der Sand kam zu dem Ackerboden, um seinen Boden auf dem Hügel zu schaffen, und Das Land entstand...
Die Sonne des Himmels, deren Strahlen gehören deinem Antlitz. Der Nil strömt für deine Urgottheit aus seiner Höhle und die Erde ist für dein Bild gegründet."


Doch schon Ramses der Große hatte die Hauptstadt ins Nildelta verlegt und Theben blieb zurück, beherrscht von den Priestern der ägyptischen Götter, vor allem der allmächtigen Priesterschaft des Reichsgottes Amun. Ein Privileg jedoch behielt die Stadt: traditionsgemäß ließen sich die Pharaonen auch jetzt noch in der Totenstadt von Theben?West begraben.


"Ja man landet als Gelobter in Theben, der Ortschaft der göttlichen Weltordnung, dem Orte des Schweigens. Frevler kommen nicht in sie hinein, die Stätte der Wahrheit ... .
Wohl dem der in ihr landet, der wird eine göttliche Seele ..."

Das Dorf der Grabbauer

Auf dem westlichen Nilufer erhoben sich die Häuser für die Ewigkeit.In gleißendem Sonnenlicht strahlten die Totentempel der Könige. Pylone, Papyrusbündelsäulen, Lotusblütenkapitelle warfen tiefe Schatten. Hier lag auch das Dorf der Nekropolenarbeiter, dessen Bewohner, Handwerker und Künstler, über Jahrhunderte hinweg ihr ganzes Leben lang mit der Herstellung von Gräbern beschäftigt waren. Durch die heilige Bedeutung ihrer Arbeit gehörten sie zu den Privilegierten in der ägyptischen Gesellschaft.
Doch auch hier war die große Unsicherheit spürbar, die das ganze Land ergriffen hatte. Eine Tagesnotiz der Dorfschreiber aus der Zeit König Ramses IX. spricht eine deutliche Sprache:


"Jahr eins, erster Wintermonat, Tag drei: Keine Arbeit aus Furcht vor dem Feind."


Die Lebensmittelzuteilungen für das Dorf der Grabbauer trafen zunehmend seltener ein und wurden überdies immer kärglicher. Der Hunger wurde häufiger Gast. In Zeiten der Not waren die reich ausgestatteten Gräber natürlich ganz besonders gefährdet. Gold, Silber, Edelsteine und jegliche Art kunstvoll gefertigter Hausrat stellten für die Arbeiter im Dorf, aber auch für viele Menschen in Theben eine große Versuchung dar, sich durch Grabraub zu bereichern.

 

Das Grabbauerdorf

Die Bedeutung des Grabes

Grabraub galt im alten Ägypten als ein sehr schweres Verbrechen, denn für den Ägypter war die Sorge für sein Leben im Jenseits, im "Land des Westens", eine zentrale Aufgabe in seinem irdischen Dasein. Grundsätzlich empfahl es sich natürlich, ein den Göttern wohlgefälliges Leben zu führen, denn bevor ein Toter im Jenseits Frieden finden konnte, hatte er eine Unzahl schwerer Prüfungen zu durchlaufen. Vor dem Totengericht mußte er Rechenschaft über sein Leben ablegen.


"Die Richter, die den Bedrückten richten, du weißt, daß sie nicht milde sind an jenem Tage, wo man den Elenden richtet, in der Stunde, wo man die Bestimmung ausführt. Übel ergeht es, wo der Ankläger der Weise ist! ? Vertraue nicht auf die Länge der Jahre; sie sehen die Lebenszeit als eine Stunde an. Der Mann bleibt nach dem Sterben übrig und seine Taten werden haufenweise neben ihn gelegt. ... wer aber zu ihnen kommt, ohne daß er gesündigt hat, der wird dort wie ein Gott sein, frei schreitend wie die Herren der Ewigkeit."
Die Ägypter glaubten, daß ein Verstorbener im Jenseits in etwa die gleiche Existenz führen würde wie im Diesseits. Seine Lebensenergie, die die Ägypter "Ka" nannten, würde am liebsten in den eigenen Körper zurückkehren, deshalb taten sie alles für dessen Erhaltung und mumifizierten ihre Toten. Alles, was der Tote während seines Lebens geliebt, gebraucht oder gewollt hatte, versuchten sie, ihm in seinem Grab mitzugeben. Seine Wertgegenstände, sein Mobiliar, Werkzeuge, Waffen, seine Freunde, Diener oder Frauen..., sein ganzes Leben sollte ihn umgeben, wenn möglich konkret; da wo das nicht möglich war, in figürlichen oder bildlichen Darstellungen.
Grabraub bedeutete also nicht nur Diebstahl, sondern viel fürchterlicher: die Zerstörung der jenseitigen Existenz des Verstorbenen, ein Frevel gegen die Götter und gegen das Leben selbst.

Habgier

Allzu oft war die Habgier stärker als die Furcht vor den Göttern oder der Rache der Verstorbenen. Selbst auf Grabwänden eingemeißelte Fluchformeln, in denen dem Grabräuber beispielsweise angedroht wurde, der Tote werde "sein Genick packen und umdrehen wie das einer Gans" fruchteten nichts. Mochten die Behörden auch noch so oft Polizeikontrollen aussenden, um die Grabanlagen auf ihre Unversehrtheit hin zu überprüfen, es konnte nicht verhindert werden, daß Grabräuberbanden immer wieder die Friedhöfe ausplünderten.

Vor Gericht sagte ein Grabräuber aus:

"Wir gingen zum Grab des Tschanefer, der Amuns dritthöchster Priester gewesen war. Wir öffneten es, holten die inneren Särge heraus, nahmen die Mumie und legten sie in eine Ecke ihres Grabes. Die inneren Särge beförderten wir zusammen mit dem Rest zur Amenophis?Insel, setzten sie in der Nacht in Brand und machten uns mit dem Gold davon, das wir auf ihnen fanden."


Immer wieder überschwemmten Gold und Kostbarkeiten den Markt Thebens, die Tauschpreise zogen an. Die Grabräuberei wurde zeitweise zu einem nicht zu unterschätzenden Wirtschaftsfaktor. Sehr viele profitierten von ihr, die Grabräuber selbst, aber auch Händler, Beamte oder gar Priester hatten Teil am großen Filz.
Seit dem 14. Regierungsjahr Ramses d. IX. spitzte sich das Problem zu. Drei Männer, darunter ein Kupferschmied namens Pescharu, wurden im Tal der Königinnen verhaftet. Ihre Befragung und Folter haben vermutlich nichts Konkretes ergeben. Aber es gingen bereits Gerüchte um, das Grab der Königin Isis, der Gemahlin Ramses d. III. sei erbrochen worden, wovon die drei allerdings nichts zu wissen schienen. Die Atmosphäre in der Stadt und im Dorf der Nekropolenarbeiter wurde immer aufgeregter. Bald würden die Behörden nicht mehr wegsehen können: allmählich setzte sich wohl auch beim Königshof im fernen Delta die Erkenntnis
durch, daß die heiligen Grabstätten in höchster Gefahr schwebten.

Die Anzeige

Im 16. Regierungsjahr Ramses d. IX. schließlich explodierte die Lage. Die obersten Beamten der Nekropolenarbeiter, die Schreiber Harschire und Pabes, erstatteten Anzeige gegen fünf Grabräuber vor dem Bürgermeister Paser von Theben-Ost. Es seien verschiedene Königsgräber ausgeraubt worden, betreffend Pharaonen der 11. und der 17. Dynastie. Auch das Grab Pharao Amenophis d. I. aus der 18. Dynastie sei beraubt worden. Die Schreiber hofften, daß die Behörden mit der Verhaftung einiger weniger zufrieden sein würden und von weiteren Nachforschungen absehen würden. Immerhin waren sehr viele Arbeiter des Grabbauerdorfes in die Verbrechen verwickelt. Es erforderte Ortskenntnis und viel Wissen um die Beschaffenheit der Gräber, um einen Raub durchzuführen und darüber verfügten wohl am ehesten die, die selbst die ewigen Ruhestätten hergestellt hatten: die Steinmetze, Maurer, Kunsthandwerker, Umrißzeichner und Ausmaler.
Ähnliche Gedanken mögen Bürgermeister Paser von Theben-Ost bewegt haben, als er diensteifrig die Anzeige zum Wesir Cha-em-wese weitergab. Dazu war er verpflichtet, aber außerdem bot sich hier die einzigartige Gelegenheit, seinem Konkurrenten, dem Bürgermeister Pawer-o von Theben-West, unter dessen Zuständigkeit die Friedhöfe eigentlich fielen, eins auszuwischen und ihn der Unfähigkeit zu zeihen. Daß Pawer-o auch irgendwie in die Grabräubergeschäfte verwickelt war, daran zweifelte Paser keinen Augenblick.

Jetzt kam die Sache ins Galoppieren. Bürgermeister Pawer-o hatte Wind von Pasers Absicht bekommen, eine Untersuchung der Verbrechen einzuleiten. Er wurde selbst bei Wesir Cha-em-wese vorstellig und stellte sich, jeder Zoll ein rechtschaffener Beamter, als eigentlichen Entdecker der Grabräubereien hin. Mehr noch: dank seiner nie endenden Wachsamkeit könne er sogar die fünf Verbrecher präsentieren. Der Wesir eilte nach Theben und berief einen Untersuchungsausschuß zusammen, bestehend aus ihm selbst, dem Schreiber und dem Sprecher Pharaos, dem obersten Heeres- und dem obersten Flottenkommandanten, Thebens erster
Priester des Amun, Amenhotpe, seinem Bruder, dem Verwalter der Tempelgüter Amuns, sowie Paser. Wir wissen nicht, welche Methoden Pawer-o angewandt hat, jedenfalls gelang es ihm, die hohen Herren auf seine Seite zu ziehen. Ob mit Schmeicheleien, Erpressung oder Drohung, er schaffte es sogar, ausdrücklich als Urheber der Untersuchung notiert zu werden.
Es wurde eine Kommission eingesetzt, die den Auftrag bekam, die Totenstadt zu untersuchen. Das Ergebnis wurde in einem ausführlichen Protokoll niedergelegt.

"Der ewige Horizont König Amenophis' I.,...,über den der Fürst der Stadt, Paser, eine Anzeige erstattet hat an den Wesir und Stadtvorsteher Cha-em-wese..., und gesprochen hat, 'die Diebe haben es erbrochen'. Er wurde untersucht an diesem Tage und unversehrt gefunden. Das Grab des Königs Aniotef, ... , es wurde unversehrt gefunden. ...
Das Grab des Königs Sebekemsaf: man fand, daß die Diebe es durch Steinmetzarbeit erbrochen hatten... . Man fand die Grabstätte des Königs ihres Herrn beraubt und ebenso die Grabstätte der Königin Nubcha-es, seiner königlichen Gemahlin; die Diebe hatten Hand an sie gelegt. Das Grab des Königs Sekenenre I.: es wurde unversehrt gefunden ...
Das Grab des Königs Kamose: es wurde unversehrt gefunden. ... Das Grab des Mentehotpe: es wurde unversehrt gefunden."


Insgesamt hatte man 10 Königsgräber untersucht und nur eines war erbrochen gefunden worden. Ganz anders sah es bei den Privatgräbern der Edlen aus:

"Die Gräber und Grabkammern, in den seit alters die Gesegneten ruhen, die Bewohner von Theben-West. Man fand, daß sie alle von den Dieben erbrochen waren; Sie hatten ihre Herren aus ihren Hüllen und Särgen herausgerissen, hatten sie auf die Erde geworfen und hatten ihren Hausrat, den man ihnen mitgegeben hatte, gestohlen, samt dem Gold, Silber und den Schmucksachen, die in ihren Hüllen waren."

Verständlicherweise war gerade Pawer-o, der Bürgermeister von Theben-West, mit diesem Untersuchungsergebnis äußerst zufrieden: immerhin hatte die Kommission von den Königsgräbern nur ein einziges geschändet vorgefunden. Er spreizte sich geradezu in seiner Pflichttreue: seine Wachsamkeit und die seiner Polizeioffiziere waren also so schlecht auch wieder nicht. Außerdem hatte man ja Diebe vorzuweisen, denen Schläge durchaus die Zungen lockerten.
Und nicht nur ihm, sondern so manchem thebanischen Beamten oder auch Nekropolenarbeiter dürfte ein Stein vom Herzen gefallen sein, wenn sie an das ein oder andere Beutestück in ihren Häusern dachten. Wohl alle hofften inständig, daß die Kommission sich mit diesem Ergebnis zufriedengeben würde.
Weitere Befragungen und Folter der gefangenen Grabräuber ergaben nicht mehr, als man sowieso schon wußte. Unter
Hieben gestanden die Räuber den Einbruch in das Grab des Königs Sebekemsaf:

"Da öffneten wir ihre Särge und die Hüllen, in den sie lagen. Wir fanden diese ehrwürdige Mumie dieses Königs.... mit einer langen Reihe von goldenen Amuletten und Schmucksachen am Hals und den Kopf mit Gold bedeckt. Die ehrwürdige Mumie dieses Königs war ganz mit Gold überzogen und seine Sargkasten waren innen und außen mit Gold und Silber bekleidet und mit allerhand prächtigen Edelsteinen ausgelegt. Wir rissen das Gold ab, das wir an der ehrwürdigen Mumie dieses Gottes fanden, und ebenso seine Amulette und Schmucksachen, die an seinem Hals hingen, und die Hüllen, in denen er ruhte. Die Königin fanden wir ebenso und rissen ebenso alles ab, was wir an ihr fanden. Ihre Hüllen verbrannten wir, und wir stahlen auch ihren Hausrat, den wir bei ihnen fanden, an goldenen, silbernen und
bronzenen Gefäßen. Wir teilten dann zwischen uns und teilten dies Gold, das wir bei diesen Göttern gefunden hatten, an ihren Mumien, den Amuletten, Schmucksachen und Hüllen in acht Teile."


Der Krieg der Bürgermeister

Paser sah seine Felle davonschwimmen. Er mußte sich schleunigst etwas einfallen lassen, um Pawer-o nicht vollständig über sich triumphieren zu sehen. Letzterer
beklagte sich bereits beim Wesir, daß er, Paser, noch immer nicht aufhöre, Anklagen auszustoßen. Also zog er seinen letzen Joker aus dem Ärmel: er schleppte den vor zwei Jahren verhafteten Kupferschmied Pescharu vor den Wesir, wo der Unglückliche ein merkwürdiges Geständnis ablegte:

"Ich war im Grab der großen königlichen Gemahlin Isis des Königs Usimare Miamun (Ramses II.). Ich brachte einige Dinge von dort weg und eignete sie mir an."

Wie Paser den Kupferschmied zu diesem Geständnis gebracht hat, kann man sich leicht ausmalen. Vermutlich hat er ihm die fürchterlichste Folter angedroht. Die Folge war, daß tagsdrauf der Wesir Cha-em-wese und der Schreiber des Pharao, Nesamun, unter glühendheißer Sonne ins Tal der Königinnen marschierten. Den Gefangenen, dem man die Augen verbunden hatte, führten sie mit sich. An Ort und Stelle nahm man ihm die Augenbinde ab und forderte ihn auf, die Gräber zu identifizieren, in die er eingebrochen habe. Und nun stellte es sich heraus, daß er gerade das nicht konnte.
Er erkannte weder das Grab der Isis, noch irgendein anderes; lediglich von einer unbenutzten Grabstelle und einer verlassenen Arbeiterhütte konnte er sagen:

"Dies ist der Ort, an dem ich war."

Wesir Cha-em-wese und Nesamun, der königliche Schreiber untersuchten die Siegel an den Grabstätten der königlichen Verwandten und Vorfahren und fanden sie unversehrt. Diese Nachricht brauste wie ein Sturm durch die Totenstadt, ihre Bewohner strömten aus den Häusern und die meisten zeigten ihre Freude ganz unverhohlen. Auch die hohen Herren schienen nicht unzufrieden, ja, Cha-em-wese und Nesamun ermunterten die Menschen geradezu, ihnen zu folgen, als sie den Nil wieder ostwärts überquerten. Also wurden sie von viel Volk begleitet: Aufseher und Verwalter und Verwalter der Totenstadt, Schreiber, Handwerker und Polizisten. In buntem Durcheinander, lärmend und gestikulierend wälzte sich die Menschenmenge durch die Stadt, vorbei am Tempel des Gottes Ptah und am Gerichtshof des obersten Priesters bis hin zum Haus des Bürgermeisters Paser. Dessen Lage war recht fatal, denn seine Anzeige wurde nun als weitgehend
unbegründet interpretiert. Nur ein einziges Königsgrab hatte man erbrochen vorgefunden und das war genau nicht dasjenige König Amenophis I., das Paser als geplündert angegeben hatte. Sein Vorstoß wegen des Grabes der Königin Isis hatte sich als beschämender Fehlschlag erwiesen.
Den Zustand der Privatgräber übergingen Cha-em-wese und Nesamun souverän. Die Menge johlte und spottete, Paser habe sich vollständig lächerlich gemacht. Man kann sich leicht vorstellen, wie der mehr als zwielichtige Pawer-o hier als Einpeitscher fungierte. Niemals sollte Paser diese Demütigung vergessen, dafür, daß er die stillschweigende Komplizenschaft zwischen Räubern und Beamten durchbrochen habe.
Paser zeigte sich vor dem Haus. Wütend schrie er der Menge entgegen:

"Diese Kundgebung, die ihr da unternommen habt, was ihr da heute getan habt, das war keine Kundgebung, sondern ein Freudengesang. Ihr habt euch an meiner eigenen Haustür über mich lustig gemacht. Was habt ihr damit vor? Noch bin ich der Fürst, der dem Herrscher Bericht erstattet. Wenn ihr euch wegen des Grabes freut: das von König Sebekemsaf ist jedenfalls aufgebrochen worden!"

Die Menge johlte zurück und mit unverhohlenem Triumph in der Stimme brüllte einer der ihren, der Vorarbeiter Userchopschef zurück:

"Sämtliche Könige, ihre königlichen Gemahlinnen und königlichen Mütter und königlichen Kinder, die am Platz der Wahrheit und am Platz der Schönheit ruhen, sind unversehrt, geschützt und sicher für alle Zeiten. Die wohldurchdachten Anweisungen des Pharao, ihres Sohnes, sind es, die sie bewachen und gründlich untersuchen lassen."

Unbekannter Dorfbewohner aus der 20. Dyn.Alles Reden und Erklären half nichts, Paser wurde sein großer Fehler, bei seiner Anzeige Gräber als erbrochen bezeichnet zu haben, die sich nachher als unversehrt
herausgestellt hatten, zum Verhängnis. Ein furchtbarer Verdacht keimte in ihm auf: die vielen aufgebrochenen Privatgräber schienen den Wesir und die Kommission völlig ungerührt zu lassen. Wie genau war die Untersuchung eigentlich geführt worden? Hatten die Kommissionsmitglieder am Ende ihrerseits versucht, die Freveltaten in der Totenstadt zu vertuschen? War gar Cha-em-wese, der Wesir, selbst stillschweigender Mitwisser im Grabräubergeschäft? Als Paser tags drauf den großen Fürsten gegenüberstand, ging ihm vollends die Galle über und er beging seinen zweiten großen Fehler. Mit zornbebender Stimme wiederholte er seine Anklagen und drohte schließlich, die Sache direkt vor Pharao zu bringen.

"Und ich schreibe über die Anklagen zu meinem Herrn, dem Pharao, um ihn zu veranlassen, seine Diener zu senden, damit sie sich mit euch beschäftigen." So sprach er zu ihnen, dieser Fürst von Theben. Und er schwor zehn Eide und sagte: "Wahrhaftig, das werde ich tun."

So beklagte sich Pawer-o später in seiner Niederschrift. Er empfand sofortiges Zurückschlagen als notwendig. Immerhin unterstanden ihm die beiden Schreiber, die die Anzeige ursprünglich lanciert hatten. Voller Eifer stieß er in die Schwachstelle von Pasers Vorgehensweise: direkt vor Pharao? Den Dienstweg umgehen? Das war nach altägyptischem Verständnis eine Ungeheuerlichkeit. Wieso war die Anzeige überhaupt an Pa?ser gegangen? Hätte sie nicht direkt an den Wesir geleitet werden müssen? Eine lange Liste aller Verfahrensfehler wurde aufgestellt und die beiden Bürgermeister stritten erbittert über Zuständigkeiten und Kompetenzen. Für Paser ging die Angelegenheit höchst unerfreulich aus: der Fall wurde vor dem großen Gericht in Theben verhandelt und in den Akten wurde niedergelegt, daß Paser sich falsch verhalten und als inkompetent erwiesen habe. Besonders demütigend für ihn war, daß er selbst Mitglied des Gerichts war und sich sozusagen selbst
verurteilen mußte. Seine politische Karriere dürfte wohl zu Ende gewesen sein. Die insgesamt acht Gefangenen blieben in Gewahrsam.

Das Grab der Isis

Der Plan der beiden Nekropolenschreiber Harschire und Pabes, mit der Anzeige einzelner das Auge der Behörden vom ganz großen Sumpf abzulenken, schien aufgegangen zu sein.
Eines aber war schiefgelaufen: den festgenommenen Männern konnte der Einbruch in das Grab der Königin Isis nicht angehängt werden. Er war ja überhaupt nicht entdeckt worden.
Hinter äußerlich unversehrten Siegeln befand sich eine schauerliche Verwüstung: die Diebe waren von hinten in die Grabkammern eingedrungen. Beutegut tauchte schon vereinzelt in der Stadt auf und es war nur eine Frage der Zeit, bis die nächste Bombe hochgehen würde.
Etwas später scheint in der Siedlung der Grabbauer in der Weststadt eine Hausdurchsuchung stattgefunden zu haben. Dabei waren der thebanischen Polizei Wertgegenstände in die Hände gefallen, die offensichtlich aus dem Grab der Königin Isis stammten. Die Situation wurde wieder brisant und die Bewohner von Theben-West zitterten vor ihren eigenen Schatten.
Den Gefangenen wurde im Tempel der Göttin Ma'at der Prozeß gemacht. Während der Wesir Cha-em-wese und der Priester Amenhotpe die Räuber befragen und auch foltern ließen, wurde die gesamte Totenstadt systematisch nach Beutegut durchkämmt. Zu den Fahndern gehörten auch zwei Männer aus der Nekropolis, der Vorarbeiter Userchopschef und der Wächter Chonsmose, von deren Beteiligung man sich einiges versprach, waren es doch immerhin lauter Verwandte, die sich
zur gleichen Zeit unter den Schlägen der Folterknechte wanden. Und sie wurden fündig...
Nicht nur Gold und Wertgegenstände aus dem Grab der Königin Isis wurden in Mengen gefunden, sondern auch Listen über die Aufteilung des Diebesguts. Die Nekropolenarbeiter mußten nun teuer dafür bezahlen, daß sie der Versuchung nicht widerstanden hatten, sich am Inhalt der von ihnen geschaffenen Grabanlagen zu bereichern. Es wurden ihnen keine Lebensmittelzuteilungen mehr geliefert und sie hungerten erbärmlich. So schlimm wurde ihre Lage, daß sie vor lauter Schwäche ihrer Arbeit nicht mehr nachgehen konnten. Jeden Tag notierten die Schreiber des ersten Priesters:

"Die Nekropolenarbeiter arbeiten nicht. Sie sind hungrig und geschwächt. Acht Gefangene verbleiben im Tempel der Ma'at."

Und so blieb es monatelang. Ausgemergelte, zum Skelett abgemagerte Gestalten mögen hinter Cha-em-wese und seinen Würdenträgern einhergewankt sein, als dieser zum Lokaltermin am Grab der Isis rief. Diesmal ließ man sich nicht von unverletzten Siegeln abhalten, sondern öffnete die Ruhestätte der toten Königin. Man kann sich wohl kaum das tiefe Entsetzen und die Erschütterung der Anwesenden vorstellen, als sie der grauenvollen Verwüstung gewahr wurden. Alles, was für die Ewigkeit gedacht war, was der Königin ein Weiterleben im Land des Westens ermöglichen sollte, war vernichtet, zerschlagen. Tiefe Scham erfüllte die Ägypter.

In der Weststadt waren inzwischen weitere Familienmitglieder der Gefangenen verhaftet worden, darunter auch ihre Frauen, die wahrscheinlich als Hehlerinnen mitgeholfen hatten, die Beute unter die Leute zu bringen. Auch über die Käufer und die Empfänger von Bestechungsgeldern war Buch geführt worden. Diese Listen zeigen, wie tief die Stadtbevölkerung Thebens in die Affaire verstrickt war. In allen Schichten der Bevölkerung kaufte und verkaufte man Gegenstände aus
Gräbern. Auch die Priesterkaste war davon nicht ausgenommen: so finden sich 36 Zahlungen an die Priester des Amuntempels aufgeführt und sogar die Gemahlin des vierthöchsten Priesters des Amun ist als Empfängerin registriert.
Gewaltige Mengen an Wertgegenständen wurden per Schiff nach Unterägypten transportiert und auf den dortigen Markt geworfen. Angesichts dessen schlug der Skandal zwar hohe Wellen, zu einer konsequenten Bestrafung aller darin Verwickelten konnte man sich aber nicht durchringen. Genügte es nicht, die Verhafteten streng zu bestrafen? Das Messer in der ägyptischen Gesellschaft anzusetzen, widerspräche doch wohl der göttlichen Ordnung....!
Wesir Cha-em-wese war sich wohl bewußt, daß man die Bewohner der Weststadt brauchte, denn Gräber mußten auch fürderhin gebaut werden. Daher zeigte er sich schließlich doch zugänglich, als die Halbverhungerten ihn immer wieder um Essen anflehten:

"Ihr habt recht, ihr Arbeiter der Nekropole. Ich sage nicht, daß ihr unrecht habt, o meine Brüder!"

Die gefangenen Grabräuber wurden zweifellos schwer bestraft. Einige erlitten Folter und Tod, andere wurden rekrutiert. Ihre Namen tauchen zu Beginn der Regierungszeit Ramses d. XI. im Zusammenhang mit Unruhen wieder auf. Jedenfalls fanden die Zeitgenossen die Bestrafung abscheulich, darauf weist die Aussage eines 30 Jahre später gefaßten Grabräubers hin:

"Ich sah die Strafe, die man zur Zeit des Wesirs Cha-em-wese über die Diebe verhängte. Ist es denn wahrscheinlich, daß ich einen solchen Tod riskieren wollte?"